Teilen

Franco Tatò: „Deutschland ist ein ernstes Land, aber ohne Führung ist Merkel heute zu schwankend“

INTERVIEW MIT FRANCO TATO – Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Hilfe für Krisenländer ist äußerst heimtückisch. Merkel hat sechs Wahlniederlagen in Folge erlitten und ihre politische Glaubwürdigkeit verloren: Ihr Ansatz zur Bewältigung der Griechenlandkrise war katastrophal. Aber früher oder später wird Deutschland zurückfinden, aber es versteht Italien nicht mehr.

Franco Tatò: „Deutschland ist ein ernstes Land, aber ohne Führung ist Merkel heute zu schwankend“

Ein Land ohne Führung. Vor allem aber „ein seriöses Land, von dem wir eine Gegenreaktion erwarten können“. So sieht Franco Tatò, heute Präsident von Parmalat, „sein“ Deutschland, dem er einst das „Deutsche Tagebuch“ widmete, eine Chronik seiner Erfahrungen an der Spitze eines auf Marktwirtschaft umzustellenden ehemaligen DDR-Unternehmens. Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Eingriffe der EZB in die Wertpapiere gefährdeter Länder.

Wie wird es ausgesprochen?
„Das Risiko einer Absage ist sehr hoch. Die Mehrheit der öffentlichen Meinung sowie Bundespräsident Christian Wulff neigen dazu, diese Interventionen als unangemessene Hilfe für ein Land wie Italien zu werten, das sie unter anderem nicht genutzt hat.“

Entsteht eine antiitalienische Stimmung?
„Nehmen wir an, die Deutschen verstehen uns nicht mehr. Beim Lesen der Zeitungen stellt sich eine gewisse Verwunderung ein: Aber welche bessere Situation als diese wird Italien jemals haben, um Strukturreformen durchzuführen? Und stattdessen verlieren wir uns pausenlos hinter Maßnahmen. Oder wir fügen Reformen wie die zur Kündigungsfreiheit ein, von denen ich glaube, dass sie der Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standhalten. Und so wächst ein Verdacht.

Was?
„Dass Italien eine große Show macht, ohne eigentlich eine Reform einleiten zu wollen. Und Merkel, die akzeptiert hat, dass die Operation gestartet wird, steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Auch dies ist für die öffentliche Meinung ein Indiz für die Führungsschwäche der Bundeskanzlerin.“

Kurz gesagt, das deutsche Unbehagen identifiziert Merkel als Sündenbock. Warum?
„Das Problem Germanais beginnt mit der desaströsen Herangehensweise an die griechische Frage. Merkel machte erst ein grimmiges Gesicht, gab dann wenig und spät nach, also ohne das Problem zu lösen, und war dann gezwungen, sich in Richtung einer Rettung zu bewegen, die weniger von Athen als von deutschen Investitionen ist. Kurz gesagt, ein großes Durcheinander, das die Menschen aus politischer Sicht als Schwäche und politische Unsicherheit empfinden. Damit hat Merkel ihren politischen Kredit verspielt.“

Aber warum eine so schwankende Haltung?
"Ein Teil davon ist der Mangel an Führung, ein Problem, das andere deutsche Formationen, angefangen bei den Liberalen, gemeinsam haben."

Wird es in Zukunft eine Wachablösung geben?
„Das ist nicht leicht zu sagen. Streng genommen würde der gesunde Menschenverstand empfehlen, sich die Erfahrungen der Koalition zu Beginn des Jahrtausends anzusehen, als die Reformen, die den Aufschwung ermöglichten, auf Initiative der Sozialdemokraten auf den Weg gebracht wurden. Aber ein solcher Schritt erfordert eine starke Glaubwürdigkeit und eine starke politische Initiative.

Ist das Fehlen von Führung das drängendste Problem?
„In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei großartige Interviews zweier Charaktere, die sich überhaupt nicht lieben: Helmut Kohl und Helmut Schmidt. Beide führten einen Großteil der aktuellen Unsicherheit auf Merkels schüchterne und schwankende Haltung zurück. Das Bild ist nicht heiter: Die SPD hat herbe Niederlagen erlitten, die Grünen sind selbst in einem Bundesland wie Baden-Württemberg, dem zweitgrößten Industriestandort des Landes, auf dem Vormarsch. Damit scheitert Merkels Strategie, den Konsens mit dem Atomstopp langfristig zurückzugewinnen.

Bleibt das Phänomen Linke bestehen und wächst im Osten rasant?
„La Linke ist nicht besser als die doktrinäre Linke unseres Hauses. Eine Koalitionsregierung, die Linke und Grüne Platz machen muss, kann sehr gefährlich werden. Für Europa, nicht nur für Deutschland“.

Könnte es im Wesentlichen die deutsche Malaise sein, die die Europäische Union in die Krise stürzt?
„Ich würde es anders formulieren. Deutschland muss seine Führung wiedererlangen und seinen Marsch fortsetzen, der europäisch sein kann oder nicht. Die Reformen haben in den vergangenen Jahren in einer Weltwirtschaft, die deutsche Exporte absorbierte, Wachstumsraten von rund 3 Prozent ermöglicht. Heute hat dieses Auto angehalten. Und um es wieder in Gang zu bringen, müssen Sie eine Fahrtrichtung finden. Aber dazu brauchen wir eine autoritative Führung, die weiß, wie man den Weg weist.“

Es ist kein beruhigendes Bild.
„Tatsache bleibt aber, dass Deutschland ein seriöses Land ist: Ich schließe nicht aus, dass nach der Diagnose das System wieder in Gang kommt.“

Bewertung