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Kino: "Zweifel", Gewissen ohne halbe Sachen

Ab dem 10. Mai kommt das neue Werk des iranischen Regisseurs Vahid Jalivand – „Doubt, a Case of Conscience“ erzählt von einem Unfall, dem Tod eines Kindes und dem Dilemma eines Arztes, der vermutet, zum Mörder geworden zu sein

Kino: "Zweifel", Gewissen ohne halbe Sachen

Zum Glück gibt es nicht allein Cannes. In den Tagen, in denen wir mit seitenlangen News und Vorschauen, roten Teppichen, Gratisapplaus und mehr oder weniger kommerziellen Produkten bombardiert werden, kann es passieren, dass wir etwas anderes sehen. Glücklicherweise erlaubt uns das Kino, unseren Horizont über die Grenzen des Marketings hinaus zu erweitern, die bequemen, einfachen Abkürzungen. Glücklicherweise erlaubt uns das Kino, in uns hinein und aus uns heraus zu schauen, in unsere Privatsphäre, in unsere intimen Überzeugungen. Glücklicherweise erlaubt uns das Kino von Zeit zu Zeit, über unsere Entscheidungen nachzudenken, darüber, was uns richtig, nützlich und notwendig erscheint.

Der Film, den wir diese Woche vorschlagen, ist Zweifel – eine Gewissensfrage, des iranischen Regisseurs Vahid Jalivand, in den Kinos am 10. Mai, bereits letztes Jahr in Venedig für die beste Regie und die beste männliche Darstellung ausgezeichnet. Die Geschichte ist schwarz, sehr schwarz, in einem solchen Ausmaß, dass es kein einziges Bild von jemandem gibt, der zumindest einen gelassenen Ausdruck hat. Jeder ist Opfer einer düsteren, dramatisch engen Atmosphäre. Der Protagonist, ein anatomischer Pathologe, überfährt auf seiner Heimkehr am Abend unfreiwillig eine Familie an Bord eines Motorrads. Offenbar wird niemand verletzt und trotz der Aufforderung, sich zur Untersuchung ins Krankenhaus zu begeben, kehren die Opfer auf ihren Weg zurück. Am Tag nach dem Unfall kommt ein Kind in sein Leichenschauhaus, das nach der Autopsie an einer Vergiftung tot aufgefunden wird. Es ist dieselbe Person, die in der Nacht zuvor in den Unfall verwickelt war, und der Protagonist wird misstrauisch: Er war schuld am Tod des Kindes, was dann eine Reihe weiterer dramatischer Ereignisse auslöste, oder er muss eine Diagnose unterschreiben, die ihn nicht überzeugt, und schweigen irgendwelche Zweifel?

Das Gewissen erlaubt kein Entrinnen und lässt keine halben Sachen zu. Der Film läuft stumm, ohne Tonspur. Die Bilder und Dialoge sind essentiell, pur, direkt zum Inhalt der Geschichte. Es gibt keinerlei Schnickschnack, Spezialeffekte und konstruierte Bilder. Es gibt ein fotografisches Auge, man spürt, dass hinter der Kamera auf Sauberkeit von Räumen und Farben geachtet wird. Ansonsten lebt der Film ganz von Menschen, Blicken, Emotionen. Sicherlich ist es eine Art Kino, weit entfernt von unseren bequemen Sofas, von den klaren und farbenfrohen Atmosphären unserer Zivilisationen, von mehr oder weniger einfachen und leicht verdaulichen Drehbüchern. Aber gerade das Kino kann auch andere Visionen, andere Andeutungen von anderen und fernen Welten vermitteln, die nicht weniger interessant sind als so viel lokale filmische Banalität, und dann kann es uns nicht zuletzt unser Gewissen in Frage stellen. Zum Glück ist es nicht nur Cannes.

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