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Vaciago: Dies ist nicht die Zeit, um Steuern in einem populistischen Tonfall zu senken, und Tremonti weiß das

von Francesco Saccomanni - Die wirklichen Reformen werden zu Beginn der Legislaturperiode durchgeführt, und die internationale Situation erlaubt Italien keine lässigen Manöver gegenüber dem Finanzbeamten, die eine Erhöhung der Steuersätze und eine Verschlechterung des Defizits riskieren würden - Draghi hat Recht mit den öffentlichen Ausgaben: selektive Kürzungen sind benötigt, die das Wachstum nicht benachteiligen – die Provinzen abschaffen.

Vaciago: Dies ist nicht die Zeit, um Steuern in einem populistischen Tonfall zu senken, und Tremonti weiß das

Die griechische Schuldenkrise wird auch beim nächsten Europäischen Rat am 24. Juni eine Rolle spielen. Die Eindämmung der Ansteckung und Pläne zur Erholung des Defizits werden auf der Tagesordnung stehen. Viele Regierungen, angefangen bei der italienischen, prüfen Korrekturmaßnahmen, um die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen. Und gleichzeitig das Wachstum ankurbeln. Mit Professor Giacomo Vaciago von der Katholischen Universität Mailand sprechen wir über Griechenland und Sparmaßnahmen. Aber auch von Italien und dem Fiskalmanöver, das uns im Herbst erwartet. 

Herr Professor, Griechenland steht am Rande des Bankrotts. Aber ein Land wird nicht über Nacht zahlungsunfähig, was ist dazu gekommen?
Im November 2009 entdeckten wir eine Situation, die wir vielleicht vermutet hatten oder die vielleicht nicht jeder sehen wollte. Ein Jahrzehnt lang liehen sich die Griechen, als wären sie Deutsche, und gaben aus, als wären sie Amerikaner. Was ich meine: Der große Vorteil des Euro war, dass die Märkte die Staatsanleihen der Peripherieländer genauso bewertet haben wie deutsche Bundesanleihen. Die implizite Wette war, dass sich innerhalb von zehn Jahren nach Einführung der gemeinsamen Währung die Produktivitätslücken zwischen den verschiedenen Ländern schließen würden. Die finanzielle Integration mit stärkeren Volkswirtschaften ermöglichte eine Zunahme der produktiven Investitionen in Ländern wie Griechenland. Schade, dass es nicht so gekommen ist. Die Peripherieländer sind einem amerikanischen Entwicklungsmodell gefolgt: Investitionen haben Blasen aufgeblasen und eine Erhöhung der laufenden Ausgaben finanziert. Allgemeiner gesagt war es ein konsumbasiertes Wachstum. Es war unvermeidlich, dass die Anhäufung von Schulden früher oder später unhaltbar werden würde. 

Es handelt sich also nicht nur um einen Bilanzbetrug von Athen.
Die griechischen Regierungen haben die Konten manipuliert, ohne dies wären sie immer noch aus dem Euro. Dass die Bilanzen aber nicht aufgingen, dürften die Märkte schon unter Augen gehabt haben. Lassen Sie mich nur darauf hinweisen, dass das griechische Leistungsbilanzdefizit 2007 14 % des BIP betrug! Das Problem ist, dass die Märkte immer alles wissen. Aber danach. Fürs Protokoll, ich würde es den „Strauss-Kahn-Effekt“ nennen: Jetzt, wo sein sexuelles Verlangen öffentlich bekannt ist, sagen wir, dass wir schockiert sind, aber auch, dass wir es immer gewusst haben.

Die Regierung Papandreou hat gerade neue Sparmaßnahmen auf den Weg gebracht, die von der EU-IWF-EZB-Troika gefordert wurden. Wird es ausreichen, um das Land zu stabilisieren, oder ist es nur eine Möglichkeit, die Zahlungsunfähigkeit hinauszuzögern?
Dies ist nicht der entscheidende Punkt. Die griechische Wirtschaft ist klein, irrelevant, die Kosten der Rettung wären doch gering. Erinnern wir uns daran, dass in einer Schuldenkrise die Krise vor allem für den Gläubiger ist, der riskiert, sein Kapital zu verlieren. Wir könnten also sagen: Gut, frieren wir die griechischen Schulden für eine bestimmte Anzahl von Jahren ein, darüber zu reden ist verboten. Schließen wir das Thema in einer Schublade ab, bis Athen wieder auf Wachstumskurs ist. Aber hat Griechenland einen Plan zur Rückkehr zum Wachstum? Dies ist die Priorität. Sparsamkeit ist in Ordnung, wenn sie bedeutet, Privatisierungen voranzutreiben und eine sorgfältige Überprüfung der öffentlichen Ausgaben mit dem Ziel der Produktivität durchzuführen. Aber wenn Griechenland nicht so wächst wie Deutschland, könnte es vielleicht an der Zeit sein, über einen Ausstieg aus dem Euro nachzudenken. Ein Fluchtweg. 

Die EZB lehnt dies sowie die Umstrukturierung der Schulden eines Mitgliedsstaates entschieden ab.
Trichet, der Präsident der EZB, vertraute im Mai 2010 den 17 Regierungen der Eurozone. Sie hatten versprochen, die griechische Krise zurückzubringen. Die EZB beschloss daher, die „No-Bailout“-Klausel der EU-Verträge zu umgehen und kaufte weiterhin griechische Anleihen und akzeptierte sie als Sicherheit. Die Regierungen haben ihre Versprechen nicht gehalten, die Bürger seien gewarnt! Ein Zahlungsausfall wäre nicht nur ein herber Schlag für Frankfurts Ruf. Es würde diese Anleihen in Altpapier verwandeln und eine Liquiditätskrise auf dem europäischen Interbankenmarkt auslösen. Wir sind dann in der Hand der Ratingagenturen, denn die bestimmen technisch, was ein Default ist, ob Restrukturierung, Haircut oder Reprofiling. Die Standardeinstellung ist eine Atombombe: Sie verwenden sie auf den Feind, Sie zünden sie nicht zu Hause.

Könnten „Eurobonds“ oder „Brady Bonds“ eine Lösung sein, um das Ansteckungsrisiko zu beseitigen?
Es scheint mir ein schwieriger Weg zu sein. Es gibt ein Souveränitätsproblem: Jemand gibt neue gesunde Schulden aus, um die infizierte zu ersetzen. Aber der Eurobond läuft Gefahr, ein fragiles Konstrukt zu sein. Sie erfordert Konsens und setzt eine institutionelle Reform voraus, die zu einer gemeinsamen Haushaltspolitik führt. Können Sie sich ein italienisches Manöver vorstellen, bei dem Berlin ein Veto hat? Die gemeinsame Emission von Eurobonds könnte interessant sein, wenn damit die Infrastrukturen und Investitionen finanziert werden, über die wir gesprochen haben. Aber heute ist der öffentliche Diskurs anders: Wir reden nicht über die Finanzierung von Tugenden, sondern von Lastern.

Kommen wir nach Italien. Die Regierung diskutiert über ein 46-Milliarden-Euro-Manöver. Wirtschaftsminister Giulio Tremonti befürwortet lineare Ausgabenkürzungen. Der Gouverneur der Bank von Italien, Mario Draghi, forderte in seinen jüngsten Schlussüberlegungen stattdessen selektive Kürzungen. Wie orientiert man sich?
Was Draghi vorschlägt, ist eine „Ausgabenüberprüfung“, eine kapitelweise Ausgabenüberprüfung. Wie Padoa-Schioppa zu seiner Zeit begann. Die Kürzungen folgen daher mittelfristigen politischen Zielen. Es ist ein anstrengender, aber unverzichtbarer Ansatz. Lineare Schnitte sind praktischer, aber sehr ungenau. Sie machen sich keine Freunde oder Feinde, das ist ihre Tugend. Sie sind jedoch ein intellektueller und administrativer Fehler. Abkehr von der Politik.

Das Manöver erfordert den neuen "Pakt für den Euro", den die EU-Regierungen im März beschlossen haben. Aber besteht nicht die Gefahr, die konjunkturelle Erholung im Keim zu ersticken?
Genau aus diesem Grund ist die Spending Review der einzige Weg! Wenn das Ziel die Rückkehr zum Wachstum ist, ist es möglich, dort, wo es Verschwendung gibt, chirurgisch zu kürzen und stattdessen diejenigen Sektoren zu fördern, in denen eine Steigerung der Produktivität in Reichweite ist. Beispielsweise spart die Förderung von Innovationen Geld und amortisiert sich. Stellen Sie sich die Effizienz- und Produktivitätsgewinne vor, wenn Papier aus den Gerichten und der öffentlichen Verwaltung verschwinden würde. Mit einem Klick von zu Hause oder aus dem Unternehmen würden auch die Transparenz und die Kultur der Legalität wachsen. Recht ist Wachstum. Leider ist dies nicht die Justizreform, von der wir sprechen …

Können wir uns in dieser Situation die Steuerreform leisten, über die in den letzten Tagen so viel geredet wurde?
Die Erfahrungen von Thatcher und Reagan und Camerons aktuelle zeigen, dass ernsthafte Reformen im ersten Regierungsjahr durchgeführt werden, weil die politischen Kosten sofort bezahlt werden, während der wirtschaftliche Nutzen später eintritt. Wir müssen jetzt den Reichtum von der Einkommenswelt in die Arbeitswelt umverteilen. Reduzieren Sie die Steuerlast für Unternehmen und besteuern Sie die städtische Bourgeoisie, indem Sie die ICI für Erstwohnungen vorschlagen. Unternehmen, die nicht ausweichen, zahlen zu viel. Ich kann kaum glauben, dass diese Regierung in diese Richtung handeln kann, wenn man bedenkt, dass sie ihre Wählerbasis vor allem im Dienstleistungssektor hat. Angesichts der internationalen Situation bedeutet eine Senkung der Steuern in einem populistischen Schlüssel jetzt, dass Sie sich mit explodierenden Zinsen konfrontiert sehen. Und bei einem unveränderten Staatsdefizit, wenn nicht noch schlimmer. Tremonti weiß das.

Selektive Schnitte, wir geben Ihnen Carte Blanche. Ein Haushaltsposten, bei dem Sie eingreifen würden?
Italiener haben es satt, dass ihnen gesagt wird, dass sie über ihre Verhältnisse leben. Wenn überhaupt, sind die Kosten der Politik exorbitant! Politiker müssen den Bürgern eine starke Botschaft der Ehrlichkeit und ein gutes Beispiel geben. Die Bundesländer kosten uns jedes Jahr Milliarden Euro und ihre Zuständigkeiten können mit Kommunen und Regionen zusammengelegt werden. Die Abschaffung der Provinzen und eine Überprüfung der Ausgaben für das Funktionieren der Kommunen haben keine hohen sozialen Kosten, wenn nicht gerade für die Politiker.

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