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Profumo: „Griechenland-Bankrott wäre verheerend: Berlin verteidigt den Euro, kann aber nicht für alle bezahlen“

INTERVIEW MIT ALESSANDRO PROFUMO – „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Deutschen in einer proeuropäischen Vision verankert sind, aber das Unmögliche nicht von ihnen verlangt werden kann. Es liegt auch an uns, tugendhafte Verhaltensweisen anzunehmen. Rette Griechenland, um den Euro zu retten. Italienische Banken sind gesünder als deutsche“

Profumo: „Griechenland-Bankrott wäre verheerend: Berlin verteidigt den Euro, kann aber nicht für alle bezahlen“

„Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die deutsche herrschende Klasse einer proeuropäischen Vision treu bleibt, aber die Situation ist objektiv komplex und wir können nicht glauben, dass Deutschland die Schulden von ganz Europa übernehmen wird: Seine Treue zum Europäismus hängt auch sehr von uns ab und auf unser Verhalten. Wenn wir tugendhaft sind, wird es den Deutschen auch leichter fallen, das europäische Projekt zu verteidigen.“ Unterstützt wird dies von Alessandro Profumo, dem italienischen Bankier, der Deutschland, seine herrschende Klasse und sein Wirtschafts- und Finanzsystem vielleicht am besten kennt.

In Deutschland hat Profumo mit dem Kauf der Hypovereinsbank im Jahr 2005 einen Meilenstein in der Transformation der Unicredit zu einer europäischen Großbank gebaut und gilt, auch weil er von einer aus Deutschland stammenden Großmutter abstammt, seit jeher als der deutscheste unserer Banker . Profumo, bis vor einem Jahr CEO von Unicredit, der inzwischen das Beratungsunternehmen Appeal Strategy & Finance gegründet hat, hat genaue Vorstellungen von den Krisenszenarien und der Bedeutung der Rolle Deutschlands.

Hier ist sein Standpunkt in diesem Interview mit FIRSTONLINE.

ERSTE LINIE – Dr. Profumo, die Griechenlandkrise und das Ausfallrisiko halten die Märkte weiterhin in Sorge, aber alle blicken nach Deutschland und auf die Abstimmung des Deutschen Bundestags Ende des Monats über den Rettungsfonds in dem Wissen, dass das Schicksal der Euro und Europa sind in den Händen der Deutschen. Wie wird es Ihrer Meinung nach enden und was können wir erwarten?
PROFUMO – Ich glaube, dass die deutsche politische und wirtschaftliche herrschende Klasse eine klare Vorstellung von der Komplexität der Situation hat. Aber ich bin ebenso überzeugt, dass er seine proeuropäische Vision keineswegs aufgegeben hat und dass sie nicht die Absicht haben, den Euro und das gesamte europäische Projekt zu vermasseln.

ERSTE LINIE – Merkels Schwanken zur Griechenland-Krise wie der Aufschrei und Rücktritt von Jürgen Stark aus der EZB beim Kauf italienischer und spanischer Staatsanleihen bieten jedoch eine andere Lesart der deutschen Orientierungen: finden Sie nicht?
PROFUMO – Es stimmt, dass vor allem bei der langsamen und schwankenden Bewältigung der griechischen Krise Fehler gemacht wurden, und es ist ebenso wahr, dass es angesichts einer komplizierten Situation wie der jetzigen völlig natürlich ist, dass es zu einer Dialektik kommt auch in Deutschland. Aber der Punkt ist ein anderer: Deutschland bleibt in seiner jetzigen Mehrheit am Euro und an Europa verankert, kann aber nonchalantes Moral-Hazard-Verhalten anderer Länder nicht hinnehmen. Genau dieses undisziplinierte Verhalten in Bezug auf die finanzielle Stabilität bringt Deutschlands Europäismus in Schwierigkeiten, und es ist schwierig, den Deutschen die Schuld zu geben, wenn sie fragen, warum sie für die Abenteuer anderer bezahlen sollten.

ERSTE LINIE – Das eine ist moralisches Urteilsvermögen und das andere politische Logik. Sich um die Griechenlandkrise und ihre Kosten zu kümmern oder die BTPs und die Bonos zu unterstützen, kann unangenehm sein, aber auch für die Deutschen kann es das kleinere Übel sein, denn ein Scheitern des Euro wäre auch für Deutschland ein sehr schwerer Schlag: Tu es nicht Sie denken?
PROFUMO – Alles richtig, aber man kann sich realistischerweise nicht vorstellen, dass Deutschland die Schulden von ganz Europa übernehmen wird. Abgesehen von moralischen Urteilen wäre es auch für die Deutschen eine unhaltbare Operation. Eines können Länder, die über eine Schwächung des deutschen Europäismus klagen, jedoch tun.

ERSTE LINIE – Was?
PARFUM – Annahme eines tugendhafteren Verhaltens im Krisenmanagement, insbesondere in Bezug auf die Reduzierung der Staatsverschuldung und die Unterstützung des Wachstums. Auf diese Weise würden sie Deutschland eine Bank anbieten, um die europäistische Politik neu zu beleben, und sie würden sie wiederum finden. Ich wiederhole: Die aktuelle Situation ist sehr kompliziert und wir und die Deutschen müssen uns bemühen, einander ohne Vorurteile und Voreingenommenheit zu verstehen.

ERSTE LINIE – Ex-Bundeskanzler Kohl sagte unlängst, auf Deutschland sei seit einiger Zeit kein Verlass mehr, weil die Welt nicht verstehe, wohin sie will und ob sie den Euro wirklich vollständig verteidigen wolle oder daran denke, zu zertifizieren, was bereits Realität sei. nämlich ein doppeltes Euro-Währungssystem, eines für die tugendhaften Länder der EU und eines für die undisziplinierteren Länder, zu denen auch Italien gehören würde: Was denken Sie?
PROFUMO – Ich glaube nicht, dass der Großteil der deutschen herrschenden Klasse alternative Lösungen zum Euro im Sinn hat, der auch für Deutschland die bevorzugte Option bleibt. Dies schließt nicht aus, dass im Falle einer noch komplizierteren Lage das Gegenteil von dem eintreten könnte, was man heute annimmt. Auf jeden Fall möchte ich sagen, dass eine innerdeutsche Dialektik über die zu verfolgenden Strategien völlig natürlich ist und dass der aktuelle politische Gipfel zwar ein Führungsdefizit gezeigt hat, aber das in Italien oder in Italien scheint mir fehl am Platz zu sein anderen Teilen Europas erwartet, den Deutschen eine Lektion zu erteilen: Schauen wir erst einmal in den Spiegel und machen unsere Hausaufgaben, wir haben keine Qualifikationen, um den Deutschen beizubringen, was sie tun sollen.

ERSTE LINIE –  Der umstrittene Rücktritt Starks aus der EZB zeugt jedoch davon, dass auch in Deutschland ein erbitterter Kampf zwischen Falken und Tauben um die Bewältigung der Krise und die Zukunft des Euro geführt wird: Wer wird gewinnen?
PARFÜM – Ich lese die Dialektik in Deutschland nicht gerne als Kampf zwischen Falken und Tauben. Es ist eine Karikatur, die den Stand der laufenden Debatte angesichts einer beispiellosen globalen Krise nicht genau wiedergibt. Sicherlich gab es Schwankungen bei der Verwaltung der Hilfe für Griechenland, die Entscheidungen zu lange hinausgezögert haben, aber es geht nicht um Falken und Tauben. Es bleibt für ganz Europa wünschenswert, dass wir, sobald Ziele und Opfer beschlossen sind, schneller und entschlossener vorgehen, ohne eine Jagd zu beginnen, die niemals endet. Allerdings ist es zu einfach, die Schuld auf den einen oder anderen abzuwälzen: Jeder muss seinen Teil dazu beitragen.

ERSTE LINIE – Wenn Griechenland leider zahlungsunfähig wird, was passiert dann mit deutschen Banken, die voll mit griechischen Staatsanleihen sind?
PARFÜM – Die deutschen Banken könnten die Auswirkungen des Zahlungsausfalls zunächst verkraften, wenn auch mit hohen Verlusten. Es wurde berechnet, dass die bereits erzielte Abschreibung für das europäische Bankensystem aufgrund der Griechenlandkrise in der Größenordnung von 20-25 % des Gesamtengagements liegt. Aber das eigentliche Problem würde unmittelbar danach auftreten: Ab dem Tag nach dem Bankrott Griechenlands würde sich der Markt fragen, wer das nächste Opfer ist und wer die nächste Zahlungsunfähigkeit mit einem verheerenden Dominoeffekt für alle an der Reihe ist.

ERSTE LINIE – Und an diesem Punkt?
PARFÜM – Sie müssen nicht bis zu diesem Punkt kommen. Wir müssen vorausplanen und dürfen nie vergessen, dass es ein Wahnsinn wäre, Griechenland bankrott zu machen, mit beeindruckenden wirtschaftlichen und politischen Kosten. Es wäre ein sehr harter und tödlicher Schlag nicht nur für Griechenland und die Banken, sondern auch für den Euro und für Europa. Deshalb kann die Priorität nur eine sein: Griechenland zu retten, um den Euro zu retten.

ERSTE LINIE – Abgesehen von den Auswirkungen der Griechenlandkrise: Wie steht es heute um das deutsche Bankensystem?
PROFUMO – Es ist ein sehr komplexes System, das mit zwei Geschwindigkeiten operiert und dessen Schwachpunkt in den sogenannten Landesbanken, den von der öffentlichen Gewalt kontrollierten Landesbanken, die kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr haben und daher auch nicht mehr sind weil sie mittel- und langfristige Kapitalgeber sind, aber nicht über ausreichende Finanzmittel verfügen. Sie bräuchten Privatisierungen und Zusammenschlüsse mit den Sparkassen, wie es bei uns geschehen ist. Dann gibt es noch die Deutsche Bank und Unicredit, während der Rest des Bankensystems im Wesentlichen öffentlich ist. Das Paradoxe an Deutschland ist, dass es das stärkste Industriesystem in Europa und das schwächste Bankensystem hat.

ERSTE LINIE – Steht Italien zumindest im Bankenbereich besser da als Deutschland?
PARFÜM – Natürlich ja. Wir haben mit dem Amato-Ciampi-Gesetz begonnen, das System zu privatisieren und zu modernisieren, und dann haben wir viele interne und externe Fusionen und Übernahmen durchgeführt, die schließlich zur Schaffung von zwei europäischen Champions geführt haben.

ERSTE LINIE – Herr Profumo, ausgehend von Ihrer Erfahrung als Banker, der mit einem Qualitätssprung in Deutschland die erste italienische Auslandsbank aufgebaut hat, was schätzt die deutsche Finanzwelt und was irritiert uns Italiener?
PARFÜM – Sie schätzen unsere Kreativität, kritisieren aber unsere institutionelle Unordnung und die Qualität unserer Entscheidungsprozesse. Und sie liegen nicht ganz falsch.

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