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Montis Eigentor traf den Stolz der Demokratie in Deutschland: ein Minenfeld

Der mit Berlin-Kritik normalerweise zurückhaltende Ministerpräsident berührte eine sehr heikle Seite des ansonsten schwachen deutschen Patriotismus: den Stolz auf die Reife seiner Demokratie in den letzten sechzig Jahren, einschließlich der vom Verfassungsgerichtshof Karlsruhe gesetzten Grenzen die Regierung zu Europa.

Montis Eigentor traf den Stolz der Demokratie in Deutschland: ein Minenfeld

MONTIS EIGENTOR, DAS DIE DEMOKRATIE DES GRUNDGESETZS KRITISIERT

Die Reaktionen der deutschen politischen Klasse auf das Interview des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti mit der Wochenzeitung Der Spiegel ließen nicht lange auf sich warten. Zwischen Sonntag und Montag kritisierten prominente Vertreter der Regierungsmehrheit sowie der Opposition, bisher stets voller Komplimente für den ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar, seine Äußerungen scharf.

Angeklagt ist insbesondere eine Passage aus Montis Interview, in dem die europäischen Staaten angeblich davor gewarnt wurden, zu stark auf das Votum der Parlamente für die Zustimmung zu Maßnahmen zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise zurückzugreifen. "Wenn Regierungen sich vollständig an die Entscheidungen ihrer eigenen Parlamente binden lassen würden, ohne ihren eigenen Handlungsspielraum zu wahren, wäre die Spaltung Europas viel wahrscheinlicher als seine engere Integration", soll der Ministerpräsident gesagt haben, vielleicht in Anspielung auf die die gesamtdeutsche Praxis, es immer dem Bundestag zu überlassen, sich von Zeit zu Zeit zu jeder auf europäischer Ebene zu verabschiedenden Maßnahme zu äußern.

Die schärfste Antwort kam vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, Joachim Poß: „Die parlamentarische Kultur Italiens muss in den unglücklichen Jahren Berlusconis sehr gelitten haben“, sagte er der „Rheinischen Post“. Auf den Seiten der Welt sprach der Generalsekretär der bayerischen CSU, Alexander Dobrindt, von einem "Angriff auf die Demokratie" und fügte dann hinzu: "Der Wunsch, unser Geld zu haben, führt Herrn Monti zu undemokratischen Vorschlägen". Ähnlich ist die Antwort von einem der neuen Gesichter von Frau Merkels CDU, Michael Grosse Bröhmer, wonach „Monti vielleicht eine klare Erklärung von Deutschland braucht, dass wir nicht die Absicht haben, unsere Demokratie abzuschaffen, um die Staatsschulden Italiens zu finanzieren.“ . Nervosität auch bei vielen Liberalen, die empört auf die für manche fast wie Erpressung klingende Warnung des italienischen Ministerpräsidenten reagierten.

Der Ministerpräsident, normalerweise sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Berlins Entscheidungen zu kritisieren, hat vielleicht nicht bemerkt, dass er eine sehr heikle Seite des ansonsten schwachen deutschen Patriotismus berührt hat. Der Stolz auf die Reife der eigenen Demokratie in den letzten sechzig Jahren, einschließlich der Grenzen, die das Verfassungsgericht Karlsruhe dem Ermessen der Regierung in Europaangelegenheiten gesetzt hat, sind nicht gerade ein Gesprächsthema wie jedes andere. Die Deutschen haben großen Respekt vor dem Verfassungsgericht und mögen keine Witze, die darauf abzielen, seine Rolle und Bedeutung zu schmälern. Solche Witze bergen das Risiko, neue Spannungen zu schüren, gerade zu einem Zeitpunkt, als die Deutschen den Versuch Mario Montis, sich als unbequemen Gesprächspartner von Bundeskanzlerin Merkel zu positionieren, bereits auf wenig beruhigende Weise wahrzunehmen begannen.

Eine indirekte Antwort an Monti kam gestern auch vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der daran gedacht hätte, den Vorschlag zweier Ökonomen – von denen einer, Peter Bofinger, im Vorstand sitzt – in das Wahlprogramm seiner Partei aufzunehmen Wirtschaftsexperten der Exekutive – wonach eine gemeinsame Verantwortung für die Staatsschulden der Mitgliedstaaten zulässig wäre, sofern das Grundgesetz entsprechend geändert wird und das deutsche Volk in einem Referendum mitreden kann. Auch die Rückkehr zur reinen intergouvernementalen Methode, bei der nur europäische Regierungen entscheiden und Parlamente brav ratifizieren, liegt den Deutschen nicht am Herzen.

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