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Noera: "Renzinomics ist willkommen, aber Abenomics wären auch nötig, wie in Japan"

INTERVIEW MIT MARIO NOERA, PROFESSOR AN DER BOCCONI UNIVERSITÄT – Der Renzi-Effekt macht sich bemerkbar und hat der Kreditwelt erhebliche Vorteile gebracht, aber an der wirtschaftspolitischen Front fehlt noch etwas: Es braucht eine Nachfragespritze wie sagt Abenomics in Japan – „Der Vormarsch der Euroskeptiker könnte dem Ministerpräsidenten unter die Arme greifen“.

Noera: "Renzinomics ist willkommen, aber Abenomics wären auch nötig, wie in Japan"

Renzinomics ist willkommen. Aber machen wir uns keine Illusionen. „Der einzige Weg, eine lang anhaltende Depression nach japanischem Vorbild zu vermeiden, besteht darin, auch in Europa eine Politik im Stil der Abenomics zu verfolgen. Aber leider ist eine solche Lösung nicht in Sicht.“ Mario Noera, Professor für Recht und Ökonomie der Finanzmärkte bei Bocconi, befürwortet mit Vorbehalt den italienischen Frühling, der durch die Erholung der BTPs und den Kapitalzufluss zu den Banken gekennzeichnet war. Aber für Matteo Renzi, warnt er, haben die Prüfungen gerade erst begonnen.

FIRSTonline – Wie stark wiegt der Renzi-Effekt im Wettlauf um den Kauf italienischer Aktien und Anleihen?

Gehen wir der Reihe nach vor. Der Kapitalzufluss betrifft nicht nur Italien, sondern einen großen Teil Europas, insbesondere denjenigen, der in den Jahren der akutesten Krise am stärksten betroffen ist. Ausgangspunkt ist natürlich das von der Federal Reserve beschlossene Tapering zur Reduzierung des Inflationsrisikos, das zu erheblichen Veränderungen bei der Umschichtung von Portfolios geführt hat, mit negativen Auswirkungen auf die Schwellenmärkte. Und so nehmen die Hauptstädte inzwischen Kurs auf Europa und verlassen die pathologischste und gefährlichste Phase der Eurokrise.

FIRSTonline – Dank wem?

Mario Draghi natürlich. Abgesehen von den mehr angekündigten als durchgeführten Interventionen besteht der wichtigste Beitrag des italienischen Bankiers darin, die Märkte davon zu überzeugen, dass der Euro trotz allem auf einen Kreditgeber der letzten Instanz zählen kann, um die bereits angesprochene Katastrophe zu vermeiden mit der Griechenlandkrise. Darüber hinaus hat die Aussicht auf die Bankenunion, der strenge Prüfungen vorausgegangen sind, zweifellos dazu beigetragen, die Wahrnehmung unserer Banken zu verbessern, die im Vergleich zu ihren Wettbewerbern in anderen EU-Ländern mit gleicher Größe und Vermögenswerten stark unterbewertet sind.

FIRSTonline – Jetzt Wasser unter der Brücke. Heute herrscht Vertrauen an der Börse und auf der Plattform für Staatsanleihen. Aber wie lange?

Italien hat zweifellos an Sichtbarkeit gewonnen. Aber das beste Bild entspricht noch nicht der Substanz.

FIRSTonline – Kurz gesagt, die Erholung wird wahrscheinlich nur einen Frühling dauern …

Es ist nicht sicher. Renzi hat große Erwartungen geweckt, mit erheblichen Vorteilen für die Kreditwelt. Wir können seine Position teilen oder nicht, aber es ist eine Tatsache, dass er das geboten hat, was das Land und auch die Märkte verlangten: einen wahren Führer, der in der Lage ist, seine Karten entschlossen auszuspielen, angefangen bei der Wirkung der Kommunikation. Aus dieser Sicht haben Sie eine fast beispiellose Situation: Nur Mario Monti hatte in den ersten Monaten im Palazzo Chigi so viel Handlungsspielraum. Aber die Monti erteilte Lizenz war eine obligatorische Geste, das Ergebnis einer Notlage. Renzi kann auf mehr überzeugte Unterstützung und vielleicht noch mehr auf die Verbundenheit anderer zählen. Ob es ihr gefällt oder nicht, die Demokratische Partei kann nicht noch einmal Selbstmord begehen, indem sie den Führer stürzt, der die Vorwahlen gefegt hat. Die Rechte steckt in einer sehr tiefen Krise: Renzi ist der einzige Lebensretter, der Berlusconi zur Verfügung steht, um Bedeutungslosigkeit zu vermeiden. Schließlich gibt es noch Europa.

FIRSTonline – In Brüssel hat sich Renzis Linie bisher nicht durchgesetzt...

Es überrascht mich nicht, da Ihre Gesprächspartner am Ende ihres Mandats stehen. Auch in diesem Fall erweist sich Renzi als Glückspilz. Europa ist in Bewegung, begierig darauf, nach Jahren der bürokratischen Sparmaßnahmen eine neue Führung zu finden.

FIRSTonline – Also volle Kraft voraus, ohne Vorbehalte?

Weit davon entfernt. Ich glaube, dass Italien, Aktienmarkt und Staatsverschuldung eingeschlossen, auf Messers Schneide wandelt. Die Handlungsspielräume sind wirklich begrenzt. Und nach dem, was ich bisher gesehen habe, gibt es keinen Mangel an Gründen zu zweifeln. Vor allem, wenn man sich die Realwirtschaft anschaut.

FIRSTonline – Warum diese Skepsis?

Denn die bisher angekündigten Maßnahmen können allenfalls dazu dienen, die aktuelle Situation zu stabilisieren oder im Schneckentempo eine leichte Verbesserung wahrzunehmen. Aber ich mache mir keine Illusionen: Die 3,3 Millionen Arbeitslosen haben wir mit dieser Politik auch in einem Jahr. Oder sie werden höchstens um hunderttausend Einheiten sinken. Aber das ist nicht Renzis Job, sondern eher eine Angelegenheit, die Europa betrifft.

FIRSTonline – Ja, das Damoklesschwert des Fiskalpakts droht …

Sagen wir mal so: Wenn uns der Fiskalpakt trifft, sind wir am Ende. Andernfalls, wenn wir mit der heutigen Logik fortfahren und die Überschreitung der Parameter um einige Dezimalstellen verhandeln, verurteilen wir uns selbst zum fortschreitenden Ersticken.

FIRSTonline – Gibt es nicht einen dritten Weg?

Renzi wird bei den nächsten Wahlen alles spielen. Das für ihn günstigste Bild ist ein starker Vormarsch der Euroskeptiker in Europa, der ausreicht, um in Deutschland große Angst auszulösen, aber nicht so stark, dass er den Integrationsprozess untergräbt. Wenn die Dinge so laufen, natürlich wenn die italienischen Wähler ihm vertrauen, wird Renzi genügend Spielraum haben, um einen Kurswechsel zu fordern. Deutschland ist scheinbar rigide, weiß aber pragmatisch zu sein. Und so können wir etwas Sauerstoff gewinnen. Wie von den Märkten erhofft, die auf den Rückgang des Spreads und über die Banken auf eine moderate Erholung der Volkswirtschaften gesetzt haben.

FIRSTonline – Oder etwas mehr …

Ich fürchte nein. Paradoxerweise besteht unsere einzige Hoffnung, einer Deflation zu entkommen, darin, dass sich die Situation als so instabil erweist, dass ein Kurswechsel notwendig und dringend wird, den Barack Obama fordert. Aber leider neigt sich seine Präsidentschaft nun dem Ende zu. Und seine moralische Überzeugung hat die deutsche Starrheit nicht berührt, nicht einmal in Fragen des Handelsüberschusses. Das Risiko besteht darin, dass sich die Dinge nicht ändern oder dass wir glauben, dass sie sich von selbst ändern können, indem wir in kleinen Schritten vorgehen. Doch das Beispiel Japan zeigt uns, dass mit dieser Logik wirtschaftliche Stagnation Jahrzehnte andauern kann.

FIRSTonline – Mehr als Renzinomics, kurz gesagt, wir brauchen Abenomics…

Ohne einen kräftigen Nachfrageschub gibt es keinen Ausweg aus dieser Krise. Natürlich sind die Reformen langfristig wichtig, aber um das Auto neu zu starten, muss man Benzin in den Motor füllen. Wie Tokio es mit einigem Erfolg versucht, da die Inflation mit dem Konsum endlich wieder tendenziell ansteigt. M Ich glaube nicht, dass in Europa heute die Voraussetzungen für eine so aggressive und mutige Politik gegeben sind.

FIRSTonline – Und ist Renzi nicht mutig genug?

Ich weiß nicht. Bisher hat er viel über Reformen gesprochen, aber wenig über Wirtschaftspolitik.

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