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„Draghi und Deutschland: die Wurzeln einer komplexen Beziehung“: Krieger spricht

INTERVIEW mit REGINA KRIEGER, Italien-Korrespondentin des Handelsblatts – ​​„Erschwert wurde das anfänglich hervorragende Verhältnis Draghis zu einem Teil der deutschen Öffentlichkeit nicht nur durch die Geldpolitik, sondern auch durch die Vorurteile gegenüber Italien. Manchmal ist die Zeit jedoch ein Gentleman“

„Draghi und Deutschland: die Wurzeln einer komplexen Beziehung“: Krieger spricht

Die Beziehung zwischen Mario Draghi und den Deutschen war nicht einfach: Als er zum EZB-Präsidenten kam, krönten sie ihn zum Supermario, der ihn mit dem preußischen Helm auf dem Kopf darstellte, aber am Ende widersetzten sie sich ihm und malten ihn mit Graf Draghila saugt die Ersparnisse der Deutschen auf. Dabei ist er der Mann, der den Euro und Europa gerettet hat. Warum dieser Schwenk der Urteile und warum diese komplizierten Beziehungen zwischen Draghi und Deutschland? Wegen seiner Geldpolitik und Negativzinsen oder wegen der uneingestandenen Vorurteile gegenüber dem Italiener Draghi? FIRSTonline fragte Regina Krieger (auf dem Foto unten), Italien-Korrespondentin des Handelsblatts, der größten deutschen Wirtschaftszeitung, die feststellt: „Es wird auch in Deutschland Zeit brauchen, um ein ausgewogenes Urteil über Mario Draghi zu formulieren, aber manchmal ist die Zeit ein Gentleman.“

Der Abgang von Mario Draghi aus der EZB geht als der Präsident in die Geschichte ein, der den Euro und damit Europa gerettet hat, und trotzdem war sein Verhältnis zu Deutschland oft umstritten, nämlich positiv bei Bundeskanzlerin Merkel und stürmisch bei der Bundesbank und teilweise bei der öffentlichen Meinung: wie ist das zu erklären? 

„Um die Wahrheit zu sagen, das Verhältnis zwischen Mario Draghi und Deutschland oder einem Teil der Deutschen war nicht immer dasselbe, aber es hat sich im Laufe der Jahre verändert. Vergessen wir nicht, dass Draghi zu Beginn seiner EZB-Präsidentschaft den Spitznamen „SuperMario“ trug und in deutschen Zeitungen respektvoll mit dem preußischen Helm auf dem Kopf dargestellt wurde. Die Verschärfung der Wirtschaftskrise führte dann schließlich dazu, dass ein Teil der deutschen Öffentlichkeit den EZB-Präsidenten und seine Geldpolitik als Ursache aller Probleme ansah und das anfängliche Wohlwollen gegenüber Draghi zurückstellte. Aber wenn man den Stimmungswandel der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber Draghi genauer untersucht, gibt es diejenigen, die heute denken, dass seine Politik in Wirklichkeit für die deutsche Regierung und für Bundeskanzlerin Angela Merkel günstig war, die eine EZB, die die EZB angriff, gut gebrauchen könnte Probleme auf den Teppich und rettete den Euro und Europa, indem er Draghi selbst den vollen Preis zahlen ließ, der so zum Sündenbock für die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurde“. 

Aber was genau missfiel der deutschen Öffentlichkeit an Draghis Politik? Seine Geldpolitik oder die Tatsache, dass er trotz seiner unbestrittenen institutionellen Korrektheit Italiener und damit Ausdruck eines hoch verschuldeten Landes war, was am Ende nie bekannte, aber in Deutschland verwurzelte negative Vorurteile schürte?  

"Beides. Niemand hat es jemals offen gesagt, aber die negative Vorahnung gegenüber dem Italiener Draghi wurde mit bloßem Auge wahrgenommen, und es ist dasselbe unbegründete Vorurteil, das trotz der Zustimmung des Europäischen Parlaments auch der Eurokommissar und ehemalige italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni erhielt gelitten. Leider scheint manchmal die Nationalität Vorrang vor dem Verdienst und der Kompetenz von Menschen zu haben. Dazu zählte natürlich auch die Substanz der Geldpolitik, die Draghi als Präsident der EZB mit Quantitative Easing und Negativzinsen unterstützte, die vor allem der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble als Nebelwand sah. Und so auch der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, der Bundeskanzlerin Merkel allerdings nie voll unterstützt hat.“  

Bei seiner Verabschiedung argumentierte Draghi energisch, dass die Rezession heute der Feind Nummer eins der europäischen Wirtschaft sei und dass daher die ultralockere Geldpolitik noch lange fortgesetzt werden müsse, beginnend mit dem Beginn der neuen Phase der quantitativen Lockerung XNUMX. November: Kommt es im EZB-Vorstand auch für Lagarde zu Schwierigkeiten? 

„Ich glaube wirklich. Die kritischen Äußerungen vieler deutscher Ökonomen zur Nachhaltigkeit der von Draghi an die EZB vermachten Geldpolitik sprechen für sich und machen deutlich, dass der eisige Wind, der Draghi in jüngster Zeit umweht hat, auch im Vorstand der von EZB geführten EZB wehen wird Lagarde. Andererseits scheinen die Politik ohne Enddatum der quantitativen Lockerung, der Handelskrieg und der Brexit auch dazu bestimmt zu sein, Lagardes Leben noch mehr zu komplizieren.“ 

Regina Krieger Korrespondentin des Handelsblatts
ZUERSTonline

Bezeichnenderweise hat die Bundesregierung in den letzten Tagen Isabel Schnabel, die eher als Taube denn als Falke gilt, als neues Mitglied des EZB-Vorstands ernannt: Sie erwartete eine so innovative Berufung und was bedeutet das alles in der heiklen Beziehung zwischen der EZB, der Regierung und der Meinung der deutschen Öffentlichkeit? 

„Ich denke, dass diese Nominierung vorerst nicht das Zeichen einer politischen Zäsur ist, sondern eher eine Wahl, die Schnabel belohnt hat, weil sie einhellig als sehr kompetent galt und weil sie eine Frau war wie vor ihr Sabine Lautenschläger. Sie ist eine der besten Ökonominnen Deutschlands und aus diesem Grund – weit mehr als wegen ihres Europäismus – für das Direktorium der EZB indiziert. Vergessen wir nicht, dass Merkel selbst, die die Kandidatur von Ursula von der Leyen unterstützt, deutlich gemacht hat, dass für Deutschland die Führung der Europäischen Kommission wichtiger ist als die der EZB. Das heißt natürlich nicht, die Augen vor der Zukunft zu verschließen, aber es ist noch zu früh, um zu verstehen, wohin die Entwicklung der Wirtschaftskrise Deutschland sowohl innen- als auch europapolitisch führen wird.“ 

Draghi versäumte es in seiner Abschiedsrede nicht, Länder, die es sich leisten können, wie Deutschland, wachstumsfördernde Investitionen gegen die Rezession voranzutreiben: Glauben Sie, dass die Bundesregierung auf diese Empfehlungen hören wird? 

„Draghi ist nicht der einzige, der Deutschland zu einer expansiveren Wirtschaftspolitik rät, was jetzt ein öffentlich diskutiertes Thema in Deutschland und außerhalb ist, aber ich wäre nicht so sicher, ob diese Empfehlungen, wenn auch maßgeblich, bereits zu Ohren gekommen sind der Regierung von Berlin". 

Die von der EZB gewünschten Negativzinsen zur Bekämpfung der Rezession können sicherlich nicht ewig andauern und haben den Banken viele Probleme bereitet und noch immer bereitet, auch wenn Draghi selbst in seiner letzten Pressekonferenz als Präsident der EZB behauptete, dass sie mehr Nutzen als geschaffen hätten Nebenwirkungen für die europäische Wirtschaft: Glauben Sie, dass Negativzinsen, auch angesichts der kritischen Reaktionen deutscher Banken, an der Spitze der deutschen Beschwerden über Draghis entgegenkommende Politik stehen? 

"Absolut ja. Schauen Sie sich nur die erste Seite der beliebten Boulevardzeitung „Bild“ an, die Draghi als Vampir darstellte und ihn, mit einem Wortspiel, als Graf Draghila definierte, der die Absicht hatte, die Ersparnisse der Deutschen aufzusaugen.“

Aber abgesehen von den Unterschieden in einzelnen Akten seiner Geldpolitik, finden Sie nicht, dass Deutschland Draghi dafür danken sollte, dass er den Euro und Europa gerettet hat und dass dies der Tag kommen wird, an dem dies anerkannt wird? 

"Vielleicht. Auch in Deutschland wird es Zeit brauchen, um ein ausgewogenes Urteil über Mario Draghi zu fällen. Ohne ihn und ohne sein berühmtes „Whatever it takes“ wären wir sicherlich nicht dort, wo wir sind, und vielleicht werden ihm eines Tages sogar seine Kritiker Anerkennung zollen. Aber wenn wir die Psychologie der Deutschen verstehen wollen, die oft auch ihre politischen Urteile inspiriert, dürfen wir nicht vergessen, dass das Syndrom der Weimarer Republik immer noch lebt und dass die Angst vor der Inflation und die Angst vor dem Verlust der Ersparnisse immer noch Angst machen beeinflussen heute die deutsche öffentliche Meinung stark. Manchmal ist die Zeit jedoch ein Gentleman.“

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