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Belgien, der politische Standard, der der Wirtschaft gut tut: Seit 480 Tagen ist das Land ohne Regierung

Der belgische Fall ist ein beispielloser Fall: Er hat seit anderthalb Jahren keine Regierung, aber die Wirtschaft wächst – Das Schulden/BIP-Verhältnis ist unter die psychologische Schwelle von 100 % gefallen und die Arbeitsplätze nehmen zu – Die Agentur Monster tut es Online-Suche nach Lebensläufen für das Amt des Ministerpräsidenten - Der scheidende Ministerpräsident Leterme tritt derweil wirklich zurück: zur OECD

Abyssus abyssum invocat. Eine Wahrheit von gestern, die heute durch den beunruhigenden Zustand Belgiens, des kleinen, sehr heruntergekommenen Herzens Europas, bestätigt wird. Die dank eines endlosen, lähmenden Tauziehens zwischen aggressiven flämischen Populisten und blassen frankophonen Politikern Gefahr läuft, als Nation fortzubestehen. Eine Pathologie, die in der Geschichte der modernen westlichen Demokratien nur wenige Präzedenzfälle hat.

Dabei ist aber gerade die Paradoxie einzigartig geworden. Vor allem dank der abgründigen Distanz zwischen der Schwere der Komplikationen bösartiger Metastasen und dem geordneten, friedlichen Alltag des nationalen Alltags. Ein halb betäubtes Klima, das es den Belgiern beispielsweise ermöglichte, den vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RTBF im Dezember 2006 servierten Witz nach einigen Momenten der Verwirrung als amüsant abzutun.

Mit der Ankündigung am frühen Abend der Abspaltung Flanderns und aufgrund der Flucht des Königs das Ende Belgiens als Staat. Oder den von Senatorin Marieen Temmermenn im vergangenen Februar vorgeschlagenen Aufruf zum Sexstreik an die Ehefrauen belgischer Politiker zu schlucken, die sich seit Monaten in nutzlosen Tête-à-Tête verstrickt haben, um der Regierungskrise auf den Grund zu gehen. Bis zu dem Punkt, dass vorgestern Tausende von Reisenden in der Brüsseler U-Bahn ein kostenloses Pressemagazin mit der Ankündigung eines Wettbewerbs hielten, der auf der Website der Zeitarbeitsagentur www.monster.be für die Sammlung und Auswahl von Lebensläufen gestartet wurde von Bürgern, die sich für das Amt des Ministerpräsidenten interessieren.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht sinnvoll, sich daran zu erinnern, dass Belgien bis heute seit 480 Tagen keine echte Regierung mehr hat. Und der Verantwortliche ist nur für die gewöhnliche Verwaltung zuständig. Damit nicht genug, trat der scheidende Ministerpräsident Mitte September zurück. Yves Leterme hat tatsächlich seine Absicht angekündigt, seine derzeitige Position als pro-tempore-Premier aufzugeben, um die stabilere und garantiertere Position des stellvertretenden Generaldirektors der OECD zu übernehmen.

Fast so, als wolle er in einem viel schlechteren Szenario in die Fußstapfen seines entfernten Vorgängers Hermann Van Rompuy treten, der ihm im Herbst 2009 die Schlüssel zum Kabinett übergeben hatte, nachdem er das Amt des ständigen Präsidenten des EU-Rates übernommen hatte . Diese einzigartige Galerie serieller politischer Versäumnisse wird noch prächtiger, wenn sie von den Strahlen der gar nicht schäbigen Situation der belgischen Wirtschaft beleuchtet wird. Das Schulden/BIP-Verhältnis stieg von 133 % im Jahr 1993 auf 97 % im Jahr 2010 und das Defizit von 6 % im Jahr 2009 auf 4,6 % im Jahr 2010, und das nach den zuverlässigsten Prognosen in Anlehnung an die Parameter von Maastricht, die sich 3 bei 2012 % einpendelte.

Eine systemische Schizophrenie, die durch die Statistiken des Arbeitsmarktes weiter bestätigt wird. In den ersten 6 Monaten des Jahres 2011 erhielten die historischen Feinde der Wallonie 170 neue Anfragen für nicht auffindbare lokale Arbeitskräfte aus den dynamischen Regionen Flanderns, die nun nahezu Vollbeschäftigung sind. Eine wichtige Zahl für ein Land mit weniger als 11 Millionen Einwohnern, das vor allem weit über dem Rekord von 157 aus dem Jahr 2007 liegt, als die derzeitige große Weltwirtschaftskrise noch nicht einmal in Sicht war. Hier kommt der Vorhang des Soundso, wenn Sie an Belgien denken, denn wie Marcur Olson in seinem Meisterwerk The Logic of Collective Action prophetisch schrieb: „Eine Gruppe von Menschen, die durch ein gemeinsames Interesse verbunden und mit den Mitteln ausgestattet sind, dieses zu verfolgen nicht immer tun sie es freiwillig. Mit anderen Worten, individuelles Handeln verwandelt sich nicht automatisch in kollektives Handeln, wenn es nicht von Institutionen organisiert und unterstützt wird.“

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